Lieber Rudi,
du hast mal für deinen Erfolg im deutschen Fernsehen eine aufschlussreiche Erklärung gefunden – du hast gesagt: „Die Deutschen haben lieber e i n e n Holländer auf dem Bildschirm als hunderttausend Holländer auf der Autobahn.“
Diese Selbstironie ist eine Eigenschaft von dir, die ich persönlich von all deinen lobenswerten Eigenschaften ganz besonders mag. Du warst der erste Showmaster, der die Show betonte und nicht den Master und sich infolge dessen auch keineswegs scheute, Witze auf eigene Kosten zu machen.
Unvergessen bleibt in diesem Zusammenhang auch deine Version vom Evergreen „Tulpen in Amsterdam“, in der du im Duett mit dem kleinen Heintje auf das Phänomen eingingst, dass so viele holländische Sänger in Deutschland Karriere machen wollen: „Was der Schock nicht singen kann, singen Nulpen aus Amsterdam...“
Nichts fällt den Deutschen schwerer, als sich selbst auf den Arm zu nehmen.
Wir sind beide der gleiche Jahrgang. Von wegen, beim Fernsehen wird man
nicht alt – diese Behauptung haben wir widerlegt. Wenn ich mir jetzt
deinen Kopf so ansehe, fällt mir allerdings ein gravierender Unterschied
zu meinem Kopf auf: Du könntest dich, wenn’s sein müsste, noch
münchhausenmäßig an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Bei mir
wäre das schon etwas schwieriger.
Uns verbindet ein altes Band: das laufende Band. Eine Sendung, mit
der du in den Siebziger Jahren Fernsehgeschichte geschrieben hast.
Als wir uns kennen lernten, warst du schon ein großer Star. Du
hattest in Montreux die Silberne Rose gewonnen und anschließend viel
Erfolg mit der Rudi-Carrell-Show gehabt. Ich produzierte damals in der
Bavaria eine Sendung von und mit dem holländischen Kabarettisten Seth
Gaaikema. Du hattest in einem Sketch mitgespielt, und danach hast du mir
von deiner neuen Idee erzählt und mich gefragt, ob ich diese
Samstagabend-Show produzieren wollte.
Ich hab mich oft gefragt, wieso du gerade auf mich gekommen bist?
Sicher hat dabei das Lied eine Rolle gespielt, das Ihr alle im Finale
singen musstet. Es hatte den denkwürdigen Refrain:
„Was ist mit mir geschehn?
Ich kann kein Bier mehr sehn...“
Die Vorstellung, kein Bier mehr seh’n zu können, war dir so fremd,
so absurd, dass sie dir offensichtlich schon wieder komisch vorkam. Du
dachtest wohl: Wer den Mut hat , dir einen solchen Text zuzumuten, der
kann auch mit dir arbeiten. Deine Vorliebe für Bier war in jener Zeit
ziemlich ausgeprägt. Kein Wunder dachte ich, das liegt an deinem
Geburtsort: du kommst schließlich aus Alk-maar.
In der Produktionswoche vor einer Sendung trinkst du keinen
Schluck. Von all deinen Kollegen hat es keinen gegeben und gibt es
keinen, der so diszipliniert, so fleißig und so zielstrebig an seinen
Sendungen arbeitet. Du warst, wenn ich an „Das laufende Band“ denke, ein
besessener Workoholic, der unglaublich hart sein konnte - zu anderen
und zu sich selbst. Bis kurz vor einer Sendung hast du noch umgestellt,
umgeschrieben, ja sogar umbesetzt.
Du hattest immer nur ein Ziel: die Leute zum Lachen zu bringen.
Wenn die Millionen, die dann am Samstag über deine Gags lachten, gewusst
hätten, wie qualvoll sie zustande gekommen waren, dann wäre ihnen das
Lachen vergangen. Du hast dir deinen Erfolg extrem hart erarbeitet.
In der Aufnahmeleitung von Radio Bremen hingen noch bis vor ein
paar Jahren die vergoldeten Überreste einer Schreibmaschine an der Wand -
ein bezeichnendes Dokument aus diesen explosiven Sturm- und
Drangjahren. Der damalige Unterhaltungschef des WDR, der verantwortlich
für die „Drei Fragen aus der Tagesschau“ war, hatte dir einmal aus
Versehen eine falsche Antwort aufgeschrieben. Mit dem fatalen Ergebnis,
dass ein Kandidat zu Unrecht verlor. Du kamst, total erschöpft von der
Sendung, in dein Büro und setztest dich an deinen Schreibtisch. Dein
Team informierte dich über die schlimme Panne, du nahmst die Nachricht
seltsam gefasst hin und wolltest Vorschläge, wie man den Fehler
möglichst elegant wiedergutmachen könnte. Da kam der Unterhaltungschef
lächelnd zur Tür herein. „Sie waren großartig, Rudi! Tolle Sendung!“
Deine Augen wurden gefährliche Schlitze. „Tut mir leid“, meinte er,
„aber diesmal war es sehr schwierig, Fragen zu finden.“ „Schwierig?“
schriest du, ergriffst deine Schreibmaschine und sprangst auf: „Diese
lächerlichen Fragen schreibe ich Ihnen mit meinem...“ - (den Rest deines
Satzes lasse ich jetzt mal aus ) jedenfalls knalltest du ihm in
höchster Erregung die Schreibmaschine vor die Füße.
Für mich war das ein Zeichen, unter welchem Druck du damals
standst, allerdings hast du auch immer dich und dein Team selber unter
einen Wahnsinnsdruck gesetzt.
Du hast später einmal in einer Talkshow gesagt, du wärst in jener
Zeit das größte Arschloch im deutschen Fernsehen gewesen. Das sehe ich
nicht so. Erstens gibt es viel größere und zweitens war dein Zorn im
Studio nur ein heiliger Zorn. Du bist eben ein unglaublicher
Perfektionist und kannst es einfach nicht ertragen, wenn einer in seinem
Job nachlässig ist.
Einmal hattest du das gesamte Team so sehr gegen dich aufgebracht,
dass fast ein Streik drohte. Du hast das gespürt, und wie ich finde, in
dieser angespannten Lage erstaunlich reagiert: Du hast die ganze
Mannschaft in ein schönes Restaurant am See eingeladen, es wurde
gegessen und getrunken, dann hast du dich hingestellt und – du hast dich
entschuldigt. Und keiner kam auf die Idee, dieses Eingeständnis als
Schwäche zu interpretieren.
Beim Fernsehen von heute werden Leute ab fünfzig in den
Vorruhestand geschickt oder rausgemobbt, aber du hattest damals – als
Vierzigjähriger – einen englischen Berater, der auf die Frage nach
seinem Alter nur immer mit einem milden Lächeln zu sagen pflegte: „I’m
older than god.“ Alle im Team liebten deinen Leslie Roberts, der in
seinen Glanzzeiten mit einer eigenen Tanzgruppe auf allen großen
Varietebühnen der Welt gastiert hatte und alles über das Showbusiness
wusste – auch über das aktuelle. Er war ein junggebliebener alter Hase.
Ein Satz von ihm wurde in Bremen zum geflügelten Wort. Wir hatten einmal
ein Schlussspiel, an das wir von Anfang an nicht so recht glaubten.
Dennoch versuchten wir, es im Laufe der Produktionswoche durch immer
neue Veränderungen zu retten. Doch bei der Generalprobe funktionierte
das Spiel noch immer nicht.
Es gab eine Krisensitzung. Alle saßen da und brüteten verzweifelt,
aber keiner kam auf eine Lösung. Und plötzlich sagte Leslie in die
Stille hinein: „If you start with shit you’ll finish with it.“ Eine
weise Erkenntnis, die nicht nur fürs Showbusiness gilt.
In deinem Buch „Die Welt ist eine Show“ hast du geschrieben: „Im
Showgeschäft bekommst du von allen Seiten Ratschläge. Höre sie alle an.
Aber entscheide immer selbst!“ Du hast immer selbst entschieden, aber du
hast dabei jeden Rat ernst genommen.
Du warst immer deiner Zeit voraus. Du hast amerikanisches und
englisches Material ausgiebig studiert, ausgewählt, übernommen und
adaptiert zu einer Zeit, als bei uns außer Michael Pfleghar niemand
ahnte, wie ergiebig das sein konnte. Aber du produziertest immer auch
eigene Ideen und zwar am laufenden Band. Du hast Kachelmann antizipiert
mit deiner großartigen Klimaanalyse „Wann wird’s mal wieder richtig
Sommer“, du hast das „Literarische Quartett“ vorweggenommen mit der
Verifizierung der These „Goethe war gut“ und du hast schon vor vielen
Jahren vor einem drohenden Bevölkerungsproblem gewarnt: „Liebling, die
Deutschen sterben aus/ Das kann ein deutscher Mann doch nicht mit
ansehn/ Da muss ein echter Mann doch seinen Mann stehn/ Komm, zieh den
Fernsehstecker raus/ Liebling, die Deutschen sterben aus... “
Du hattest als erster in deiner Sendung die damals aktuelle Wahl
der Miß Germany stattfinden lassen und wurdest dafür in Emma zum „Pascha
des Monats“ gewählt. Jahre später saß auf der „Wetten, dass“-Couch
Alice Schwarzer neben dir, und du erinnertest sie an den Pascha. „Aber
seitdem“, sagtest du, „habe ich mir nichts Frauenfeindliches mehr zu
schulden kommen lassen.“ „Dann hatte die Aktion ja ihren Sinn erfüllt“,
sagte Alice Schwarzer. Und du sagtest zu ihr: „Puh, ziemlich heiß hier.
Finden Sie nicht auch?“ Zogst etwas aus dem Sakko und wischtest dir
damit den Schweiß ab – es war ein Büstenhalter...
Deine größte Spielidee beschreibst du in deinem Buch „Gib mir mein
Fahrrad wieder“: (ich zitiere) „Vier Kandidaten, vier Zuschauer, vier
ganz normale Menschen hatten gegen den größten Boxer aller Zeiten
geboxt, und nicht nur das: Muhammad Ali hatte eine Comedy-Show
abgezogen, die kein Gagwriter hätte besser schreiben können. Das einzig
Traurige an der Sache war, ich wusste, ich würde nie mehr ein besseres
Spiel erfinden können.“
Es gehört bestimmt zu deinem Erfolgsgeheimnis, dass du ein
Lacherproduzent bist, der selbst sehr gern lacht. So wie man es dir
ansehen kann, wenn etwas nicht funktioniert, so zeigst du unverhohlene
Begeisterung, wenn ein Gag ankommt.
Das beste Beispiel dafür war der legendäre Auftritt des
australischen Bauchredners Rod Hull mit dem Emu. Ich hab dich noch nie
so aus vollem Halse und aus vollem Herzen lachen sehen. Du kamst aus dem
Lachen nicht mehr heraus.
Deine unübertroffene Stärke sind die optischen Gags.
Mein absoluter Lieblings-Sketch von dir ist der Sketch, in dem du
neben Heinz Erhardt stehst. Du singst Sonnenlieder, er singt
Regenlieder. Und jedes Mal, wenn das Wort „Regen“ fällt, kriegt er
Wasser auf den Kopf. Bis er das System begreift und den Platz wechselt:
„Jetzt sing i c h einmal Sonnenlieder“! Er feixt und du fängst an zu
singen:
„Als Büblein klein an der Mutterbrust“ ...Du stockst und fragst: „Wie geht’s noch weiter?“
Er singt:
„Juchheissa bei Regen und bei Wind!“
Und schon steht Heinz Erhardt wieder da wie ein begossener Pudel...
Nicht umsonst ist diese Szene ein Klassiker geworden wie „The same procedure as last year“ oder Loriots Nudel-Szene.
Geniale Einfälle hast du übrigens nicht nur fürs Fernsehen, sondern
auch für den Alltag. Umwerfend fand ich, wie du reagiertest, als mal
ein junger Mann mit seinem offenen Cabrio bei deinem Rittergut in Syke
vorfuhr, ausstieg, um das Gelände herumschlich und sich als übler
Paparazzi herausstellte. Du sahst dir das zornbebend eine Weile mit an,
dann gingst du zu deinem Nachbarn – einem Bauern -, kamst mit einer
vollbeladenen Schubkarre wieder und kipptest kurzerhand den ganzen
Inhalt in das schicke Cabrio: es war dampfender Mist.
Für manche ist das, was du nun schon so lange so erfolgreich machst, Mist, für mich, lieber Rudi, ist es ganz große Kunst.
Als langjähriger Fan von Werder wirst du von jetzt an bestimmt auch
ein Fan von Bodenwerder. Bodenwerder und Bremen verbindet die Weser,
und dich verbindet mit Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von
Münchhausen etliches –auch er hat viele Kämpfe überstanden, auch er
hatte viele Jahre ein Rittergut und auch er hat die Menschen aufs beste
unterhalten mit seinen unglaublichen Ideen, seiner unerschöpflichen
Phantasie und seinem einzigartigen Humor.
Ich seh dich schon eines Tages wie er durch die Lüfte reiten, aber
nicht auf einer Kanonenkugel, sondern auf einer Alkmaarer Käsekugel.
Du hast den Münchhausen-Preis verdient, den Till-Eulenspiegel-Preis
hast du schon, aber um die Ecke, zwanzig Kilometer von hier, ist
Hameln, und ich muss sagen, den Rattenfänger-Preis, den hättest du auch
noch verdient...
Lieber Rudi, wir waren einmal ein Gespann – so unterschiedlich wie
Bier und Wein. Und es ging manchmal hoch her. Godverdomme! Aber ich bin
stolz darauf, dass ich in einer für uns beide sehr wichtigen Phase dein
Weggefährte war. Ich gratuliere dir zum Münchhausen-Preis.
Hartelijk gefeliciteert
Dein Alfred
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